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Foto: pixabay.com

Wir werden gebraucht

Nach dem ersten Lockdown waren alle Mitarbeitenden im Team der Tagespflege froh, weitermachen zu können. (Foto: DRK Kreisverband Büdingen)

Am Abend des 18. März dann die Nachricht: Das Haus wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Alle Betreuten waren in heller Aufregung. „Da haben wir alle noch geglaubt, in zwei, drei Wochen sei alles vorbei. Die Mitarbeitenden sind in Kurzarbeit gegangen, Katja Weinel als Pflegefachkraft in die DRK Senioreneinrichtung ‚Am Seemenbach‘. Davor räumte sie noch die Kühlschränke aus. „An diesem Tag war das Haus so still und leer. Ich habe das als sehr bedrückend empfunden.“ Niemand habe erwartet, dass die Einrichtung dreieinhalb Monate geschlossen bleiben würde. „Anfang Juli wurde dann beschlossen, dass Tagespflegeeinrichtungen wieder öffnen dürfen und dieWiedereröffnung organisiert. Katja Weinel sagte ihren Urlaub ab, erarbeitete gemeinsam mit ihrer Stellvertreterin Viola Ganz-Ehrlich ein Abstands- und Hygienekonzept. 

„Vor der Schließung saßen bei uns pro Stockwerk immer 12 Personen an einem langen Tisch. Als wir wieder öffneten, waren es anfangs etwa sieben oder acht. Wir haben die Abstände damals mit dem Metermaß ausgemessen“, erinnert sich Katja Weinel. Es gab viele weitere Veränderungen. So dürfen seither Marmeladengläser, Käse- und Wurstteller oder der Brotkorb nicht mehr von allen genutzt werden. Alles wird in Schälchen individuell kredenzt. 

„Im Sommer 2020 war es für viele Einrichtungen schwierig, Desinfektionsmittel zu bekommen. Aber ich hatte Anfang Februar Flüssigseife und Desinfektionsmittel geordert. Fürs ganze Jahr. Sie ist auch geliefert worden. Damit waren wir zum Glück gut versorgt“, schildert Katja Weinel.

Die umfangreichen Hygienemaßnahmen sind den Mitarbeitenden der Tagespflege in Fleisch und Blut übergegangen: Täglich mehrmals werden Kontaktflächen, Türgriffe und Lichtschalter desinfiziert. Die Betreuungskräfte tragen FFP 2 Masken. Im Alltag mit den an Demenz Erkrankten erweise sich das als schwierig, sagt Katja Weinel: „Die Gäste können unsere Mimik und Gestik nicht sehen - oder wenn wir lachen. Zudem hören viele Gäste schlecht. Auch da ist der Mundschutz mehr als hinderlich. Deshalb nehmen wir die Maske ab, wenn der Abstand zwischen uns und ihnen ausreichend groß ist. Das wenigstens ist gestattet.“ Die betreuten Menschen dagegen tragen keine Maske: „Zunächst war durchaus vorgesehen, dass unsere Gäste Masken tragen, aber dagegen habe ich mich erfolgreich gewehrt. Sie sind zum Teil schwerst an Demenz erkrankt. Das kann man ihnen wahrhaftig nicht zumuten.“

Katja Weinel freut sich, dass gemeinsames Singen wieder erlaubt ist. „Aber wer weiß, wie lange. Deshalb habe ich gleich, als es bekannt wurde, das Wochenmotto geändert in ‚Wo man singt, da lass dich ruhig nieder…‘ Gerade das Singen haben unsere Gäste schließlich extrem vermisst.“

Nach der dreieinhalbmonatigen Schließung seien einige Gäste kognitiv stark reduziert in die Tagesbetreuung zurückgekehrt. Ihnen habe die Ansprache, die regelmäßige geistige und körperliche Beschäftigung gefehlt, die sie in der Tagespflege erhalten, bedauert Katja Weinel. Auch für die Angehörigen sei die Schließung eine enorme Belastung gewesen. Um ihnen zu zeigen, dass sie in dieser schweren Zeit nicht allein sind, hat Katja Weinel sie während der Schließung alle 2 Wochen angerufen. Im ersten Monat seien die Angehörigen noch guter Dinge gewesen. Viele hätten gesagt, sie könnten die Betreuung gut stemmen. „Aber nach und nach sind sie immer verzweifelter geworden, haben am Telefon geweint“, sagt Katja Weinel und: „Einige unserer Gäste habe ich dann gar nicht mehr wiedererkannt. Sie haben die Tagespflege im März mit Pflegegrad 2 verlassen und kamen im Juli mit Pflegegrad 4 zurück.“ Dies habe ihr deutlich vor Augen geführt, wie wichtig die Betreuung an Demenz erkrankter Menschen ist. „Die Angehörigen können das im Alltag gar nicht leisten. Nach drei Monaten standen manche deshalb kurz davor, ihre Lieben stationär unterzubringen.“

Katja Weinel ist sicher, dass die Tagespflegeeinrichtungen nicht erneut geschlossen werden, auch wenn die Infektionszahlen wieder steigen. Gegen eine Schließung spreche vieles, etwa, dass viele Angehörige mit Kinderbetreuung, Homeoffice, Betreuung und Pflege der an Demenz Erkrankten überfordert sind. „Die Tagepflege wird gebraucht“ sagt sie bestimmt und: „Eine Dame, die bereits seit vier Jahren zu uns kommt, sagte: ‚Lieber sterbe ich an Corona als an Einsamkeit.‘ Dieser Satz hat mich nachhaltig berührt.“

Auch für die Mitarbeitenden war die Schließung eine harte Zeit. In der Kurzarbeit, zuhause, sei ihnen die Decke auf den Kopf gefallen, berichtet Katja Weinel: „Alle, wirklich alle, waren froh, als wir wieder starten konnten. Wir sind einfach ein gutes Team.“

Nach dem Lockdown musste Katja Weinel monatelang Anfragen nach Betreuungsplätzen zurückweisen. „Doch seit einiger Zeit können wir wieder neue Gäste aufnehmen. Wir haben Kapazität. Idealerweise Menschen, die Pflegegrad 2 oder höher haben. Für sie können wir richtig viel tun.“ Die Aktivitäten, die Katja Weinel und ihr Team anbieten, sind schließlich vielfältig, Sie reichen von gemeinsam Frühstücken oder Kochen über Vorlesen, Basteln, Gymnastik treiben und Rätsel raten bis hin zu Malen, Singen und Spazierengehen. „Je nachdem, was die Coronaregeln aktuell erlauben, passen wir das Angebot an - alles in Absprache mit dem Gesundheitsamt. Wir verfügen mittlerweile über fast anderthalb Jahre Erfahrung mit der Pandemie. Wir können jede neue Regelung rasch umsetzen.“

Und was, wenn jetzt im Herbst die Infektionszahlen wieder nach oben schnellen? Katja Weinel macht das keine Angst: „Wir gewährleisten ein Maximum an Schutzmaßnahmen. Zudem sorgt die Schutzimpfung dafür, dass keine schweren Krankheitsverläufe auftreten. Mittlerweile zeigen Gäste, die zum ersten Mal zu uns kommen, ungefragt ihren Impfpass vor, aus Angst, wir nehmen sie nicht.“